Am Mittwoch flog die Rollstuhlbasketballnationalmannschaft der Herren von Frankfurt nach Frankreich, genauer gesagt nach Nizza an die Côte d’Azur. Ab Freitag steigt im nahegelegenen Antibes das Repechage-Turnier, das erstmals als Qualifikationsmodus für die Paralympischen Spiele dient. Ein Blick auf die deutsche Mannschaft und deren Gruppengegner.

Erinnern Sie sich noch an die Handball-WM 2007? An Nationaltrainer Heiner Brand mit seinem markanten Schnauzer, Pascal Hens mit seinem blonden Irokesenschnitt und seinem brachialen Wurf aus dem Rückraum, und den kaum zu bezwingenden Torhüter Henning Fritz? Im eigenen Land wurde Deutschland Weltmeister – nur ein halbes Jahr, nachdem die Fußballnationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann ebenfalls als Gastgeber Bronze gewonnen hatte. Auf das „Sommermärchen“ 2006 folgte das „Wintermärchen“ 2007. Beide Erfolge wurden verfilmt und erzählen eine ähnliche, wahre Geschichte darüber, wie ein Team zusammenfindet, über sich hinauswächst und eine Euphorie bei den eigenen Landsleuten auslöst.

Während des Lehrgangs in Wetzlar haben sich die deutschen Rollstuhlbasketballer den Dokumentarfilm „Projekt Gold – Eine deutsche Handball-WM“ zusammen angesehen. „Ein sehr guter Film“, findet Bundestrainer Michael Engel, “weil er sehr gut beschreibt, wie so eine Mannschaft im Laufe eines Turniers mit Rückschlägen umgehen muss. Wenn jemand ausfällt, muss ein anderer in die Bresche springen.“

Jeder Spieler wisse, dass bei einem Turnier unvorhersehbare Dinge passieren können, wie Verletzungen oder Foulprobleme während eines Spiels. „Deshalb ist jeder Athlet wichtig und hat seine Aufgabe. Der Film hat definitiv dazu beigetragen, dies zu verinnerlichen“, unterstreicht Engel.

Respektvoll und kritikfähig – so beschreibt er sein Team. „Jeder hört dem anderen zu, alle sind auf gleicher Augenhöhe. Für eine Nationalmannschaft sind die Spieler vom Sozialverhalten her außergewöhnlich“, schwärmt der seit Dezember 2023 amtierende Nationalcoach.

„Die Vorfreude ist groß. Wir sind fokussiert, wachsam und uns der Herausforderung bewusst. Auf der anderen Seite herrscht eine große Begeisterung, da wir uns für ein tolles Ereignis qualifizieren können. Es ist nicht so, dass wir gegen den Abstieg spielen. Wir empfinden einen Mix aus Begeisterung, Vorfreude und Demut“, erklärt Engel. 

Die Wichtigkeit, sich der Schwere der Herausforderung bewusst zu sein, wird besonders beim Repechage-Turnier deutlich. Das Teilnehmerfeld bei den Paralympics in Paris 2024 wurde auf acht Mannschaften reduziert, im Gegensatz zu den letzten Paralympics in Tokio 2021, bei denen sowohl bei den Herren als auch bei den Damen 12 Nationen teilnahmen. Die Qualifikation ist also anspruchsvoller geworden. Herren-Bundestrainer Michael Engel geht sogar soweit zu sagen, dass theoretisch alle acht Nationen Medaillenchancen haben – je nachdem, wer sich in Antibes durchsetzt. Noch sind vier Tickets zu vergeben. Das sind die deutschen Gegner.

12. April um 13.15 Uhr: Deutschland – Kolumbien

Bundestrainer Michael Engel lobt Kolumbien als eine der Überraschungsmannschaften der letzten Monate, die sich bei den panamerikanischen Spielen bis ins Finale gekämpft hat. „Die Kolumbianer spielen mit viel Herz, sind variabel und können sowohl groß als auch klein spielen. Ihre unterschiedlichen Verteidigungsvarianten machen sie zu einem starken Gegner“, sagt Engel. Besondere Aufmerksamkeit gilt Kolumbiens Schlüsselspieler Jhon Hernandez, der seit Jahren internationales Top-Niveau zeigt.

13. April um 15.30 Uhr: Deutschland – Marokko

„Marokko ist Afrikameister und eine Mannschaft, die sehr gut organisiert ist“, sagt Engel. Der Kern der marokkanischen Mannschaft spielt seit vielen Jahren zusammen. Sein Team dürfe diesen Gegner keinesfalls unterschätzen, betont er, denn eine gut organisierte Mannschaft sei immer gefährlich. Dennoch dürfte die Favoritenrolle auf Seiten Deutschlands liegen.

14. April um 18 Uhr: Deutschland – Italien

Beim Osterturnier in Blankenberge besiegte Deutschland die Italiener mit 72:63. Dennoch warnt Engel vor der Qualität des italienischen Teams. Besonders Sabri Bedzeti gebe der Mannschaft enorm viel Energie, daher ist es wichtig, „ihn unter Kontrolle halten.“ Auch die beiden 1,5-Punkte-Spieler Francesco Santorelli und Ahmed Raourahi erfordern eine enge Verteidigung. Italien kann auch aus der Distanz gefährlich sein – vor allem Giulio Maria Papi, den Engel als einen der besten Werfer Europas bezeichnet. „Die Italiener spielen mit viel Feuer und Energie, setzen uns unter Druck. Wir müssen ruhig bleiben und die richtigen Entscheidungen treffen“, konstatiert der Bundestrainer.

15. April: Finalspiel: Deutschland – Kanada/Niederlande/Iran/Frankreich

Erst am 15. April werden wir wissen, ob sich die deutsche Rollstuhlbasketballnationalmannschaft der Herren für die Paralympischen Spiele qualifizieren konnte. Drei Siege gegen Kolumbien, Marokko und Italien reichen nicht aus, wenn Deutschland im „Finale“ am Gegner aus der Überkreuzgruppe scheitert. Jede der acht Nationen kann mit einem Sieg an diesem Tag die Qualifikation für Paris noch erreichen, selbst wenn in der Gruppenphase ein, zwei oder drei Spiele verloren gehen.

„The winner takes it all“, so lässt sich der Modus zusammenfassen. Bis zum Finaltag gilt es für die deutsche Mannschaft, sich eine gute Ausgangsposition zu schaffen, um als Gruppenerster gegen den Vierten der Überkreuzgruppe anzutreten. Vielleicht ist das Turnier in Antibes für die Rollstuhlbasketballnationalmannschaft ja auch der Anfang einer wahren, ihrer ganz eigenen Geschichte.

Text – Nikolas Pfannenmüller