Hans-Jürgen Bäumer hat den Dr. Horst Strohkendl-Preis des Deutschen Rollstuhl-Sportverbands e.V. (DRS) erhalten. Hier dankt ihm Christoph Küffner, der Vorsitzende des Fachbereichs Rollstuhlbasketball, für seinen unermüdlichen und unverzichtbaren Einsatz für die Sportart und insbesondere die RBBL.
„Warum soll ich wegen Corona nicht spielen dürfen? Warum soll ich dieses Strafgeld bezahlen? Warum nicht regelkonform, die Mail blieb doch fristgerecht im Postausgang hängen?
Weil wir so gerne als professionelle Sportart verstanden und anerkannt werden wollen! Ein Beispiel gefällig: Während den Diskussionen um Antworten auf die Corona-Situation für unseren Spielbetrieb zu finden verglichen wir uns nicht mit Rollstuhlrugby oder Rollstuhltennis. Wir gehen in die Vollen: Fußball, Handball, Basketball – natürlich der Fußgängerbereich; das versteht sich von selbst.
Ich sitze im September dieses Jahres mit Hans-Jürgen Bäumer in einer Hotelbar in Frankfurt am Main. Er wirkte an diesem Abend sehr aufgeräumt und in sich ruhend. Diese Beobachtung weckte mein Interesse. Waren die vergangenen Monate für uns alle doch sehr anstrengend. Ich musste mehrfach mit beobachten, wie er persönlich für sein Handeln angegangen wurde. Freilich haben wir alle auch Fehler gemacht. Sicher war nicht immer alles perfekt formuliert. Oft habe ich mich hinterfragt, ob ich eingreifen müsse. Hatte ich als junger Fachbereichsleiter die funktionale oder zumindest moralische Verpflichtung dazu? Ich ließ die Nörgler meist gewähren. Zu oft? Er würde es mir nie sagen.
Hans-Jürgen Bäumer ist ein ‚Vollblut-Ehrenamtler‘ – ein Mann, der den Vereinen stets bestmöglich dienen möchte und da ist es egal, ob dieser aus München, Wetzlar oder Hamburg stammt. Ein Mann der angetreten ist die Vereine bei ihrem Wunsch zu mehr Professionalität zu unterstütze. Und er tat es! Egal wie unwegsam die Situation auch scheint, er tut es auch weiterhin – unaufhaltsam. Es spielt deshalb keine Rolle, wann man ihn erreichen möchte: Sonntagabend zur Tatort-Zeit, beim Abendessen mit seiner Frau, auf dem Aufsitzrasenmäher, im Auto auf dem Weg zum Arzt. Er ist immer für unseren Sport erreichbar. In Jugendsprache würde man sagen „ein echter Ehrenmann“. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er von uns nicht immer als ein solcher behandelt wird.
Ich kenne Hans-Jürgen an diesem Abend seit ungefähr einem dreiviertel Jahr. Zu Beginn, da möchte ich ehrlich sein, wusste ich nicht genau was ich von ihm halten soll. Ihm ging es bei mir genauso; dass weiß ich und das ist ok so. Vielleicht respektieren wir uns deshalb so sehr. Die gegenseitige Wertschätzung mussten wir uns erarbeiten.
Ich fragte ihn, während wir an unserem Bier nach einer langen Sitzung nippten, was er in seinem Leben alles Wunderbares erlebt habe. Seine Augen fingen an zu Leuchten. Er erzählte von seiner Familie und seiner Zeit, als er als Berufssoldat bei der Marine durch die Ozeane der Welt fuhr. Sein Einsatz auf der Fregatte ‚Braunschweig‘ hatte es ihm besonders angetan. „Wir hatten damals klare Regeln! Da gab es keine Ausreden. Ein halbes Jahr waren wir unterwegs und der Tag war von früh bis spät durchgetaktet. Wir mussten das Schiff am Laufen halten – bei Wind und Wetter!“ Einen der schlimmsten Stürme habe er miterlebt. „Wellen, hoch wie Wolkenkratzer.“ Nur um ein Haar hat die Crew diesen Sturm, der über eine Woche das Schiff an seine technischen und statischen Grenzen brachte, überstanden. Man spürte, wie sich die Erinnerung von verbogenem Stahl, verängstigen Kameraden und ausschlagenden Instrumenten im Maschinenraum in seine Lebensgeschichte eingebrannt hat. Man spürte, wie stark es seine Persönlichkeit prägt. Wir verabschiedeten uns. Für ihn wohl ein netter Plausch an einer Bar in Frankfurt am Main – für mich wirkt das Gespräch bis heute nach.
Ich stelle mir dabei die Frage, was es bedeutet Verantwortung für andere zu übernehmen und ich denke dabei nicht an die eigene Familie, den Beruf der einen nährt oder das Sporttreiben, das einen als Person auszeichnet. Ich denke daran Verantwortung zu übernehmen für Dinge, die keinen Profit bringen. Denn die Gleichung, der wir meist folgen, heißt: Verantwortung + Aufwand < Ertrag
Was ist aber der Ertrag in der Leitung der Kommission Spielbetrieb beim Fachbereich Rollstuhlbasketball? Ich möchte hervorheben, ein Ehrenamt!
Ist es der Unmut der Vereinsverantwortlichen, der immer wieder in dieser Funktion abgeladen wird? Ist es der scheiternde Versuch Vereine durch Moderation zu vereinen und ein weiteres auseinanderdriften zu verhindern? Ist es das fehlende Eingeständnis von Strukturschwächen der Interessengruppen? Oder ist es einfach der fehlende Respekt, der einem immer wieder entgegenschwappt? Fassen wir es zusammen: die Probleme sind strukturell und es menschelt. Heißt, das Problem ist nicht Hans-Jürgen oder ein möglicher Nachfolger Namens Stephan oder Johannes. Es sind wir – alle zusammen.
Hans-Jürgen Bäumer ist sicher nicht perfekt, so wie es keiner von uns ist und er kann auch nicht alles, was auch für uns alle gilt. Er ist aber lernfähig. Was für eine schöne Eigenschaft in seinem Alter.
Um die Gemüter während der Corona-Zeit zu beruhigen hält er virtuelle Stammtische. Es dürfen alle Interessierten teilnehmen und er stellt sich jeder Frage: Fans, Sportler*innen oder Funktionäre. Das technische Know-how hat er sich dafür in kürzester Zeit selbst angeeignet. Mancher YouTube-Blogger kann hier einpacken, wenn er seine Übertragung aus dem heimischen Büro beginnt. Um die Vereine in dieser schweren Zeit zu unterstützen hat er WhatsApp-Gruppen, Corona-Warngruppen, Inzidenzreportings und Online Meetings ins Leben gerufen. Ganz getreu dem Motto: Verantwortung hält die Welt zusammen.
An diesem Punkt darf man sich nun Fragen: Warum tut er das? Verantwortung hoch, Aufwand hoch, Ertrag gegen Null.
Nennen wir es charakterliche Reife, der unendliche Glaube an das Gute in den Menschen und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen.
Und für uns? Jürgens Zeit ist endlich. Er wird sich zurückziehen und jemand Neues wird übernehmen. Wenn aus Jürgen dann Stephan oder Johannes geworden ist, wird sich etwas in unserem Umgang untereinander ändern? Jürgen wird es aus der Ferne beobachten und ich weiß, dass er es sich für uns alle wünschen wird.
Und die Moral von der Geschicht? In der Krise zeigt sich der Charakter, wie damals auf der Fregatte. Und was braucht man, wenn einem der Wind um die Nase weht? Ein dickes Fell!
Ahoi, Jürgen. Danke!“
Christoph Küffner
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