Rollstuhlbasketballer Joe Bestwick war Paralympics-Dritter und Europameister mit Großbritannien und Champions-Cup-Sieger sowie vierfacher deutscher Meister und Pokalsieger mit dem RSV Lahn-Dill. Seit Anfang Juni hat der RBBL-Topscorer, der mittlerweile bei Hannover United spielt, auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Somit wäre Bestwick auch für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt.


Der vergangene Sommer war der erste in 15 Jahren ohne Basketball für Joe Bestwick. Sonst war der 35-Jährige immer mit der britischen Nationalmannschaft unterwegs. Seit knapp acht Wochen trainiert sein Verein Hannover United wieder in Kleingruppen, doch Bestwick musste sich noch einer Operation am Knie unterziehen, hatte daher bis Dienstag keinen Ball mehr in der Hand und machte Krafttraining. „Es war echt schön, so viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Weil meine Frau viel zu tun hatte, habe ich mich mehr um meine kleine Tochter gekümmert – das war hart, aber wirklich cool.“

2007 Wechsel nach Deutschland, ein Jahr später schon Topscorer in der RBBL

Bestwick kam mit Klumpfüßen zur Welt, ist einseitig unterschenkelamputiert und entdeckte mit zwölf Jahren den Rollstuhlbasketball für sich. Bei U23-Europameisterschaften gewann er zweimal Gold und einmal Silber mit Großbritannien, mit 22 Jahren wechselte er 2007 dann zum ersten Mal nach Deutschland zu den RBC Köln 99ers und wurde in der Saison 2008/2009 sogar Topscorer in der RBBL, der deutschen Rollstuhlbasketball-Bundesliga.

Dass er eines Tages für Deutschland spielen dürfte, hätte er damals vermutlich noch nicht gedacht – auch wenn er schon ein bisschen Deutsch sprechen konnte: „Theoretisch hatte ich Deutsch in der Schule, aber der Lehrer wurde langfristig krank und deshalb ist der Unterricht fast immer ausgefallen. In Köln habe ich kein Deutsch benutzt, weil der Trainer auch fast keins gesprochen hat.“ Bei seiner zweiten Station beim Rekordmeister RSV Lahn-Dill hatte er ab 2012 fünf Mal die Woche je vier Stunden Deutschunterricht, „doch ich habe gleich gesagt, ich komme so oft wie möglich, nur wenn Spiele anstehen oder etwas mit der Mannschaft, kann ich halt nicht.“ Über die Jahre mit der Familie hat sein Deutsch sich aber stark verbessert, sein Wortschatz ist gut. Seine deutsche Frau Dana spricht mit Tochter Robyn Deutsch, er Englisch. „Nur die Grammatikregeln habe ich nie wirklich gelernt. Es ist schwierig, Zeit dafür zu finden und Grammatiktabellen lernen macht auch keinen Spaß“, sagt Bestwick und lacht: „Mein Deutsch passt, aber es sollte immer besser werden.“

Für das B1-Niveau beim Einbürgerungstest reichte es locker. Da Bestwick schon so lange in Deutschland lebt, war spätestens nach dem Brexit klar, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft Sinn macht, um alle Optionen offen zu halten: „Es ist so am einfachsten, weil ich in Großbritannien oder Deutschland leben und in ganz Europa ohne Visum reisen kann.“ Dass er dann auch für Deutschland spielberechtigt sein könnte, „darüber haben wir nur Witze gemacht, die Entscheidung für die Staatsbürgerschaft war aber unabhängig vom Sport.“

„Joe arbeitet extrem hart, gibt immer 100 Prozent und ist ein sehr akribischer Athlet“

Als Bundestrainer Nic Zeltinger ihn dann ansprach, wurde es konkreter, dass Bestwick eines Tages das Deutschland-Trikot tragen könnte. Da vom Internationalen Paralympischen Komitee momentan alle Spieler dahingehend überprüft werden, ob sie mit Blick auf die körperlichen Beeinträchtigungen auf internationaler Wettkampfebene klassifizierbar sind, tauchte der bis dato britische Nationalspieler Bestwick für Deutschland auf der Liste auf – als spielberechtigt. Für Zeltinger ein positives Signal in einer „sehr unglücklichen Situation“, schließlich warten Alex Halouski und Matthias Güntner noch immer auf das Ergebnis ihrer Überprüfung.

„Klar ist, dass die beiden von uns jede Unterstützung bekommen und wir hoffen, dass sie da positiv durchkommen. Es wäre einfach unfair, sollten die Beiden keine Berechtigung erhalten, bei den Paralympics zu starten“, sagt Zeltinger, der sich abgesehen davon über ein mögliches Wiedersehen mit Joe Bestwick freut: „Mit ihm bekommen wir einen Spieler, der alles dafür tut, damit sein Team gewinnt. Joe arbeitet extrem hart, gibt immer 100 Prozent und ist ein sehr akribischer Athlet. Dazu ist er ein feiner Mensch abseits des Spielfelds. Ich habe ihn fünf Jahre als Trainer mit allen Höhen und Tiefen begleitet, sollte er sich im Selection Camp für den Kader qualifizieren, wissen wir, was wir aneinander haben.“

Bestwick gewann mit dem britischen Team unter anderem Paralympics-Bronze 2008 in Peking und den Europameister-Titel 2013 in Frankfurt. Das EM-Finale 2013 war aber auch sein letztes Spiel für das Team GB, danach war er immer nah am Kader, wurde aber nicht berücksichtigt. Da er über vier Jahre kein Spiel mehr gemacht hat, dürfte er nun für eine andere Nation spielen. „Ich habe lange mit meiner Frau geredet, ob das vertretbar ist. Schließlich war ich immer länger unterwegs mit dem Nationalteam. Vor den Paralympics in London und Rio nicht ausgewählt geworden zu sein, war hart für mich. Wenn ich mit 50 Jahren auf meine Karriere zurückblicke und nur einmal bei den Paralympics war, bin ich vielleicht ein bisschen traurig. Das war vor zwölf Jahren nicht geplant, aber jetzt bekomme ich vielleicht die Chance, dem Land und der Basketball-Community hier in Deutschland etwas zurückzugeben. Die will ich zu 100 Prozent ergreifen, besonders in einem paralympischen Jahr.“

„In Hannover bin ich ein besserer Schütze geworden und spiele fast immer 40 Minuten“

Dass er aktuell für das Selection Camp nominiert, aber noch nicht im Kader fest dabei ist, betont Bestwick mehrmals. „Es soll niemand glauben, dass ich da direkt reinkomme. Das muss ich mir erarbeiten, gut spielen und es muss menschlich passen“, sagt der 35-Jährige, der sich seit seinem Wechsel zu Hannover United noch einmal weiterentwickelt hat: „Trainer Martin Kluck vertraut mir, das gibt mir Selbstbewusstsein und hat mir geholfen, zu wachsen. Davor bin ich meistens von der Bank gekommen, in Hannover bin ich ein besserer Schütze geworden und spiele fast immer 40 Minuten. Ich bin lauter als andere, weil ein britischer Coach früher gesagt hat, wir sollten so aggressiv und laut wie möglich sein auf dem Feld. Das kommt sehr hart rüber, hat aber immer eine positive Intention“, sagt Bestwick fast entschuldigend: „Deutsche hingegen sind generell eher ruhige Menschen.“ Bei den vergangenen großen Turnieren hat er als Kommentator viele Spiele des deutschen Teams gesehen und kennt alle Spieler auch aus der Liga: „Das Talent ist da, aber aus irgendwelchen Gründen hat es mit der Medaille bislang nicht geklappt. Vielleicht – oder ich hoffe – ich kann helfen, mit meinem Stil einen neuen Impuls zu geben.“

An seine bislang einzigen Paralympics 2008 in Peking denkt Bestwick gerne zurück, besonders an das Eröffnungsspiel vor 18.000 Zuschauern gegen Gastgeber China und das Gruppenspiel gegen die USA, damals eines der besten Teams der Welt: „Ich habe für GB nie viel gespielt. Gegen die USA haben wir in der Vorbereitung immer mit 40 oder 50 Punkten verloren, vor dem Gruppenspiel hatten dann drei Leute Magen-Darm und ich musste durchspielen. Die US-Amerikaner haben im Tunnel über uns gelacht und dachten, sie gewinnen mit 80 Punkten. Ich war so nervös und habe schlecht gespielt in der ersten Halbzeit“, erinnert sich Bestwick und ergänzt: „Aber zur Pause lagen wir nur knapp zurück, da hat der Trainer gesagt, wir sollen einfach weiterspielen, er hätte keine Ahnung, warum ich so viel Angst habe. Danach war ich besser und wir haben gewonnen. Es war nur ein Gruppenspiel, aber für mich eine coole Erfahrung, aus der ich viel Selbstbewusstsein ziehen konnte.“ Im Spiel um Bronze ging es dann wieder gegen die USA, Bestwick durfte nicht mehr ran, doch das Erlebnis und die Medaille blieben. „Die habe ich überall in Schulen rumgezeigt, deshalb sieht sie alt und kaputt aus. Aber sie hängt noch immer im Wohnzimmer.“ Jetzt könnte ein neues Kapitel mit der deutschen Nationalmannschaft beginnen.